Schleswig-Holsteins letzte Fischer
Die Fischerei ist fest in der DNA Schleswig-Holsteins verankert. Sie ist Kulturgut, Wirtschaftsfaktor und Tourismusmagnet gleichermaßen. Wer an Schleswig-Holstein denkt, hat Bilder von Fischkuttern in malerischen Häfen an Küsten und Seen vor Augen. Schaut man jedoch genauer hin, zeichnet die Realität ein weniger romantisches Bild. Sie erzählt die Geschichte von Fischerinnen und Fischern, die nicht nur auf dem Wasser Stürmen trotzen müssen. Von einer Branche, die dem Norden seine Identität gegeben hat und nun so einschneidenden existenziellen Herausforderungen gegenübersteht, dass sie ihren Beruf gänzlich neu denken muss, um bestehen zu können.
Freitagvormittag in Ascheberg am Ufer des Großen Plöner Sees: Rauch und der Duft nach Erlenholz ziehen über das idyllische Gelände der Fischerei und Räucherei Lasner. Soeben hat Altgeselle Bodo Tisler die sechs Räucheröfen angefeuert und beginnt sein Tagwerk. Er räuchert den Fisch, den zwei Damen im Hofladen gleich nebenan verkaufen. Inhaber Rüdiger Lasner sitzt an einem der urigen Holztische und blickt auf „seinen“ See. 80 Prozent des Großen Plöner Sees hat er gepachtet. Das sind knapp 2.500 Hektar Wasserfläche.
Rüdiger Lasner ist Binnenfischer in dritter Generation. 1954 erhielt sein Großonkel hier das Fischereirecht, 1977 übernahm es Rüdiger Lasners Vater, und seit 2001 führt Sohn Rüdiger den Betrieb gemeinsam mit seiner Frau Iris. „Ich habe es nie bereut, Fischer geworden zu sein“, sagt der ausgebildete Fischwirtschaftsmeister. Wenn man ihm zuhört und sich umschaut, ist es schwer vorstellbar, dass alles, was sich hier befindet, aus existenzieller Not heraus entstanden ist. Denn es gibt kaum noch Fisch im Großen Plöner See – und hauptverantwortlich hierfür ist ein einziger Prädator: der Kormoran.
Fisch als Vogelfutter
„Den ersten Kormoran habe ich 1981 gesehen und mich damals noch gefreut. Hätte ich gewusst, was daraus wird, ich weiß nicht, was ich getan hätte“, erinnert sich Rüdiger Lasner. Damals lebte seine Familie noch ausschließlich vom Fischfang. Gefischt wurde mit Zugnetzen, drei Züge pro Tag, alle Netze prall gefüllt. „Wir haben gefangen, sortiert und den Fang dann nach Kiel zum Verauktionieren gebracht. Die Händler haben die Verarbeitung übernommen. Das waren gute Zeiten – und dann kamen immer mehr Kormorane und begannen, den See leer zu fressen.“ Als Rüdiger Lasner 2001 den Betrieb übernahm, war der Fischbestand in den Binnengewässern schon so weit zurückgegangen, dass bald kein Seefisch mehr in den Auktionshallen in der Landeshauptstadt verauktioniert wurde. „Da standen wir vor der Entscheidung: entweder selber verarbeiten und vermarkten oder aufgeben“, sagt Lasner. Er entschied sich für Ersteres – im Gegensatz zu vielen seiner Kolleginnen und Kollegen. Laut dem aktuellen Jahresbericht zur Deutschen Binnenfischerei und Binnenaquakultur gab es im Jahr 2023 nur noch 29 See- und Flussfischereibetriebe und weitere 29 Aquakulturbetriebe in Schleswig-Holstein.
Seltenes Handwerk: Nur noch 29 See- und Flussfischereibetriebe gibt es in Schleswig-Holstein.
Flucht nach vorn
„Auch meine Fänge sind um 90 Prozent zurückgegangen, seit sich der Kormoran so massiv vermehrt“, sagt Lasner. Resigniert hat er dennoch nicht, sondern die Flucht nach vorn angetreten. „Ich wurde vom Fischer zum Händler und Gastronom. Wir haben den Hofladen und die Küche gebaut und die Räucherei erweitert. Darauf bin ich stolz!“ Die Fische, die sein angestellter Fischereimeister Steven Bröcker und er noch fangen, versuchen die Lasners möglichst gewinnbringend an den Endverbraucher zu bringen. In den Öfen räuchert Bodo Tisler Aale und Maränen direkt aus dem Großen Plöner See, aber auch Lachs, Makrele, Butterfisch, Heilbutt und weitere beliebte Räucherfische, die nicht im See heimisch sind und deshalb frisch zugekauft werden.
Aus den Seefischen, die nicht geräuchert werden, stellen drei Angestellte in der Küche Marinaden, Salate und Fischfrikadellen her. „Bis zur Corona-Krise lief das alles gut! 2019 habe ich eine zweite Küche gebaut, hatte 16 Angestellte. Als Corona kam, waren sie alle weg, und nun bekomme ich kein neues Personal. Vorher haben wir hier täglich bis zu 180 Tellergerichte verkauft, hatten mobile Verkaufswagen und haben Events gemacht, zu denen bis zu 8.000 Besucherinnen und Besucher kamen.“ Doch auch dieser erneute Einbruch hat Rüdiger Lasner nicht aus der Bahn geworfen. „Es ist noch nicht aller Tage Abend! Wenn ich neue Leute bekomme, muss ich nur den Schlüssel umdrehen, und alles ist bereit!“ Als wäre es ein Zeichen, kommt in diesem Moment Steven Bröcker mit einem Boot ans Ufer gefahren, in Kisten den Fang des Tages: 70 Kilogramm Barsche und Maränen. „Das sieht doch gut aus!“, sagt Rüdiger Lasner – und lächelt.




Küstenfischerei unter Druck
Vom Plöner See führt der Weg an die Kieler Förde nach Heikendorf. Hier, im Möltenorter Hafen, liegt der Kutter SK14 von Björn Fischer, Ostseefischer in siebter Generation. Wie die Binnenfischerei steht auch die Küstenfischerei und Kleine Hochseefischerei Schleswig-Holsteins zunehmend unter Druck. Die gesamte Fischerei leidet unter den hohen Kraftstoffpreisen. Der Ausbau der Windenergie auf See, Fangquoten und Fischereiverbote in Schutzgebieten reduzierten die verfügbaren Fanggebiete. Das wohl größte Problem ist jedoch der Zustand der Ostsee, der den Fischbestand, vor allem von Dorsch und Hering, schrumpfen lässt. Für die deutsche Fischerei sind deshalb auch in dieem Jahr maximal 57 Tonnen Dorsch als Beifang erlaubt, etwa beim Fang von Plattfisch wie Scholle. Beim Hering liegt die zulässige Beifangmenge bei 435 Tonnen. Eine Ausnahme gilt für die Kleine Küstenfischerei mit Stellnetzen – sie darf gezielt auf Hering fischen.

Keine Fischer auf der Ostsee
„Die Ostsee ist krank durch den Klimawandel, Munitionsaltlasten und die Nährstoffeinträge der Landwirtschaft. Das Wasser wird immer wärmer, und wir haben keine Winterstürme mehr, die die Ostsee umwälzen und mit frischem Salz und Sauerstoff versorgen. Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Aquarium, leiten da ständig neue Nährstoffe ein, wechseln aber nie das Wasser. So sieht es in der Ostsee aus“, erklärt Björn Fischer im Fahrerhaus seines Kutters. Aufgrund der Fangquoten fischen er und die anderen verbliebenen Ostseefischer inzwischen nahezu ausschließlich auf Plattfisch.
Doch die Schollen sind so mager, dass sie laut Björn Fischer im niederländischen Großhandel kaum noch Geld einbringen. „Auf der anderen Seite haben wir eine komplette Infrastruktur, die finanziert werden muss. Im Moment ist der Fischpreis so schlecht, dass ich, wenn ich den Fang nach Holland transportiere, immer mit einem Minus rausgehe.“ Aus diesem Grund fahren Björn Fischer und der Großteil seiner Kollegen seit Mai 2025 nicht mehr zum Fischen auf die Ostsee.
Wie Rüdiger Lasner hat auch Björn Fischer sich ein neues Standbein aufgebaut. Vor seinem Kutter betreibt er einen erfolgreichen Fischbrötchenverkauf, an dem trotz des regnerischen Wetters auch heute einige Kundinnen und Kunden anstehen. Ein zweiter Standort befand sich in der Sommersaison 2025 am Kitzeberger Strand. „Ich habe mir früher auch nicht vorgestellt, dass ich einmal Gastronom werden würde. Aber wer sich nicht anpasst, wird nicht bestehen“, sagt Björn Fischer.
Nachfolgegeneration ohne Perspektive
Dass sein Sohn Jonny hauptberuflich in seine Fußstapfen treten wird, bezweifelt Björn Fischer allerdings. „Jonny hat zwar bei mir gelernt, studiert aber aktuell Informatik und betreute in den Semesterferien unseren Strandkiosk in Kitzeberg. Ich denke, ich werde der letzte hauptberufliche Fischer in unserer Familie sein.“ Für Björn Fischer ist das angesichts der Perspektive mehr als verständlich. 2024 waren nach Angabe des Landesfischereiverbandes in Schleswig-Holstein 154 Kutter im Haupterwerb aktiv, 68 in der Ostsee, 86 in der Nordsee. Schleswig-Holsteins Ostsee- und Nordseefischer landeten nach Angaben des Landesamtes für Landwirtschaft und nachhaltige Landentwicklung und des Landesfischerei verbandes 30.387 Tonnen Fisch im Wert von 55,3 Millionen Euro im In- und Ausland an, wobei den absoluten Löwenanteil die Miesmuschelzucht und die Krabbenfischerei in der Nordsee ausmachten.
Neue Schutzgebiete: Das Aus für die Ostseefischerei?
Im März 2024 hat sich die schwarz-grüne Koalition nach monatelanger Auseinandersetzung auf neue Schutzgebiete geeinigt. Künftig sollen rund 12,5 Prozent des schleswig-holsteinischen Teils der Ostsee und damit deutlich mehr als bisher unter strengem Schutz stehen. Hier soll jegliche Fischerei verboten werden. „Diese Schutzgebiete liegen genau dort, wo 90 Prozent der schleswig-holsteinischen Ostseefischerei stattfinden. Sie sind unserer Meinung nach willkürlich gewählt und werden für viele weitere Fischereibetriebe mit kleineren Booten das Aus bedeuten.
Dabei fischen diese hier ausschließlich mit Stellnetzen, die den Meeresboden nachweislich nicht beeinflussen“, sagt Björn Fischer. Auch die IHK Nord hat hierzu eine klare Meinung. „Im Sinne einer nachhaltigen Fischerei- und Tourismusausrichtung zur Stärkung der norddeutschen Wirtschaft plädiert die IHK Nord für einen intensiven Dialog der Beteiligten anstelle pauschaler Verbote. In diesem Dialog müssen die Umweltauswirkungen der Fischereien differenziert betrachtet werden, um Forschung und Innovation für ökologische Fischereimethoden zu fördern und neue Geschäfts- und Tätigkeitsmodelle zu schaffen“, betont Dr. Sabine Schulz, Federführerin Maritime Wirtschaft bei der IHK zu Kiel.
Es sieht also düster aus für die Fischer im Land zwischen den Meeren. „Die klassische Fischerei, wie sie früher existierte, wird es hier nicht mehr geben“, sagt auch Elke Horndasch-Petersen, Fachbereichsleiterin Fischerei bei der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein. „Die Fischerinnen und Fischer müssen ihren Beruf diversifizieren und neu denken. Das tun sie in vielen Fällen auch bereits, zum Beispiel mit der Gastronomie, Touristen- und Forschungsfahrten, Seebestattungen und Trauungen. Das ist aber nicht für jeden etwas.“ Das beliebte Bild von bunten Kuttern in den schleswig-holsteinischen Häfen wird sich daher, so die traurige Prognose, voraussichtlich nicht in gewohnter Weise aufrechterhalten lassen.
