"Wir befinden uns auf Kollisionskurs mit der Erde"

Der renommierte Klimaforscher Prof. Dr. Mojib Latif beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den Ursachen und Folgen der Erderwärmung. Für den ANKER traf ihn IHK-Pressesprecher Karsten von Borstel in der Akademie der Wissenschaften in Hamburg. Ein Gespräch über Endlichkeit von Ressourcen, geopolitische Rückschritte, technologische Chancen, die Rolle von Wirtschaft und Politik – und die Verantwortung jedes Einzelnen.
Im Gespräch
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Herr Professor Latif, schön, dass Sie bei uns sind – besser gesagt: schön, dass wir bei Ihnen sein dürfen, hier in der Akademie der Wissenschaften in Hamburg. Bevor wir inhaltlich einsteigen – wie geht es Ihnen?
Mojib Latif: Körperlich geht‘s mir gut. Aber wenn ich auf die politischen Verhältnisse schaue, insbesondere die geopolitischen Entwicklungen, dann geht es mir ehrlich gesagt nicht so gut. Es scheint alles in die falsche Richtung zu laufen – und das besorgt mich sehr.
Unser ANKER widmet sich dem Titelthema „endlich“ – im Sinne der Endlichkeit von Ressourcen und auch der begrenzten Zeit, die uns bleibt, um der Erderwärmung etwas entgegenzusetzen. Sie befassen sich seit Jahrzehnten mit dem Thema. Können Sie noch mahnen, klagen, warnen – oder resignieren Sie langsam?
Mojib Latif: Nein, es gibt keine andere Option. Solange die Dinge nicht in die richtige Richtung laufen, bleibt uns nur, immer wieder darauf hinzuweisen: Wir befinden uns auf Kollisionskurs mit der Erde. Das ist keine neue Erkenntnis – schon 1972 warnte der Club of Rome vor den Grenzen des Wachstums. Unsere Ressourcen sind endlich. Wir können nicht dauerhaft mehr vom Planeten nehmen, als er regenerieren kann.
Verstehen die Staaten das Ihrer Meinung nach?
Mojib Latif: Auch nach mehr als 50 Jahren nicht wirklich. Kurzfristiger Gewinn steht im Vordergrund. Langfristige Folgen werden verdrängt. Sobald das Thema in den Fokus rückt, kommt eine Krise – und es verschwindet wieder. Bestes Beispiel: Bei der vorletzten Europawahl war Klimaschutz das dominierende Thema. Dann kam Corona, und plötzlich war das Thema weg.
Wie können wir den Diskurs wieder auf die richtigen Themen lenken?
Mojib Latif: Wir müssen viel stärker über Chancen sprechen. Über das, was Klimaschutz auch wirtschaftlich bringt. Klimaschutz läuft Gefahr, zum Reizwort zu werden. Dabei geht es um Zukunftsfähigkeit. Nehmen Sie die Energieerzeugung: Das Klimaproblem ist im Wesentlichen ein Energieproblem. Wir erzeugen Energie aus Kohle, Öl und Gas. Dabei wissen wir seit mehr als 100 Jahren, dass CO2 die Erde aufheizt. Trotzdem hält die Wirtschaft an den fossilen Brennstoffen fest. Dabei wäre es eine Win-win-Situation: wirtschaftlicher Fortschritt und Umweltschutz zusammen gedacht.
Was ist mit Staaten, die aktiv zurückrudern? Donald Trump zum Beispiel ist sofort aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen. Wie geht man mit solchen Rückschritten um?
Mojib Latif: Wir haben es mit einer neuen Art von ökologischen Krisen zu tun – globalen Krisen, die wir nicht mehr national lösen können. Bei Smog in Deutschland konnte man Filter einbauen: Problem gelöst. Aber CO2 bleibt Jahrhunderte in der Atmosphäre. Es ist egal, wo es ausgestoßen wird, es verteilt sich global. Deshalb brauchen wir internationale Kooperation. Leider ist das nicht gerade die Königsdisziplin der Weltpolitik.
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Wie schätzen Sie Deutschlands Rolle ein? Olaf Scholz wollte als „Klimakanzler“ antreten, ist diesem Anspruch aber wohl kaum gerecht geworden.
Mojib Latif: Systemische Veränderungen müssen von der Politik kommen. Bürgerinnen und Bürger können das nicht leisten. Und doch hat die Ampelregierung einiges getan, zum Beispiel die erneuerbaren Energien wiederbelebt. Aber natürlich hätte mehr passieren können. Trotzdem: Wenn alle Länder das getan hätten, was Deutschland getan hat, wären wir auf Paris-Kurs. Die Welt schaut auf uns. So wie China, das inzwischen führend beim Ausbau erneuerbarer Energien ist.
Dennoch: CO2-Reduktion ist teuer. Wir erleben wirtschaftlich schwierige Zeiten, viele Unternehmen sparen bei Investitionen. Kann die Wirtschaft den Wandel überhaupt aus sich heraus stemmen?
Mojib Latif: Nicht allein. Die Politik muss stabile Rahmenbedingungen setzen. Unternehmerinnen und Unternehmer sagen mir: Wir brauchen Verlässlichkeit, keine Zickzackpolitik. Nehmen Sie das Beispiel Verbrenner-Aus: Niemand weiß, woran er ist, und deshalb investiert niemand. Wir müssen die langfristigen Trends erkennen. Bei Digitalisierung und KI haben wir schon den Anschluss verpasst. Bei der Energiewende dürfen wir das nicht wiederholen. Es geht auch darum, unabhängiger von Importen zu werden.
Häufig hört man, es sei „fünf vor zwölf“. Wie spät ist es Ihrer Meinung nach?
Mojib Latif: Es ist längst nach zwölf. Die Auswirkungen der Erderwärmung sind da: Hitzewellen, Dürren, Überflutungen. Wir erleben das alles jetzt. Ich glaube nicht, dass wir die Zwei-Grad-Grenze noch einhalten können. Aber das heißt nicht, dass alles vorbei ist. Die Diskussion um Kipppunkte ist sehr umstritten. Jedes Zehntelgrad zählt, das wir noch vermeiden können.
Was macht Ihnen Hoffnung?
Mojib Latif: Zwei Dinge: Erstens – technologische Umbrüche können sehr schnell gehen. Denken Sie an den Wechsel vom Pferdewagen zum Auto oder vom Festnetz zum Smartphone. Zweitens – der Boom bei den erneuerbaren Energien. Viele Länder haben begriffen, dass fossile Energien keine Zukunft haben.
Ich sehe Sie seltener in Talkshows. Haben Sie sich zurückgezogen?
Mojib Latif: Nein, das Thema ist einfach nicht mehr „in“. Deshalb werden Klimawissenschaftler auch nicht mehr eingeladen.
Und wenn Sie eingeladen werden, sitzen Sie manchmal Menschen gegenüber, die sich nicht an Fakten halten. Wie gehen Sie damit um?
Mojib Latif: Das zentrale Problem ist schwindendes Vertrauen in Wissenschaft, in Politik, in Wirtschaft. Wenn dieses Vertrauen fehlt, wird es schwer, die großen Herausforderungen zu lösen.
Ich habe selbst eine kleine Tochter. Manchmal frage ich mich, wie sie in 30 Jahren leben wird. Sie haben Enkel: Wie spricht man mit ihnen über Klimawandel?
Mojib Latif: Man darf keine Weltuntergangsszenarien verbreiten. Ich versuche immer, Hoffnung zu machen. Bei Kinderunis erkläre ich, wie einfach vieles eigentlich wäre: Wind, Sonne, Technik. Und dann fragt ein Kind: „Warum macht ihr es dann nicht?“
Ich danke Ihnen herzlich, Herr Professor Latif, für Ihre Zeit, Ihre Einblicke und Ihre Klarheit und dass Sie heute unser Gast waren.
Zur Person
Über Prof. Dr. Mojib Latif
Mojib Latif, Jahrgang 1954, ist einer der bekanntesten Klimaforscher Deutschlands. Er forscht am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR) und ist Professor an der Universität Kiel. Latif ist Träger zahlreicher Auszeichnungen, Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg und der Deutschen Gesellschaft Club of Rome. Er gilt als profiliertes Gesicht der deutschen Klimaforschung – in der Wissenschaft, in Talkshows und in der Öffentlichkeit.

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